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DISSOZIATION - St. Gerold 6. - 7.7.07



DISSOZIATION - St. Gerold 6. - 7.7.07


ist ein Begriff, der zur Zeit der Geburt der Psychoanalyse gebräuchlich
war. Charcot verwendete 1889 den Begriff facile dissociation, um das Phänomen zu
bezeichnen, das bei seinen hysterischen Patientinnen unter dem Einfluss von
Hypnose auftrat. Dieser Gedanke war Charcot sehr wichtig, um zu erklären, wieso
eine innere Idee eines Traumas – z.B. eine Beinlähmung – ohne nachweisbare
morphologische Veränderungen praktisch das gleiche klinische Resultat wie ein
äußeres traumatisches Ereignis, das zu morphologischer Nervenzerstörung führt,
haben kann. Obwohl Charcot diesen Begriff nicht weiter entwickelte, taten es seine
Schüler – Janet, Forel, und, unter anderen, auch Freud und Breuer – mit Begeisterung.

Sehr bald wich Freud jedoch von seiner ursprünglichen Überzeugung bezüglich der
Dissoziation ab. Zum einen ging diese Entwicklung Freuds mit seiner Ablehnung der
Hypnose einher, zum anderen erfolgte sie aus der Veränderung in seiner Position
bezüglich der Verführungstheorie. Statt von „Dissoziation“, bzw.
Bewusstseinsspaltung, sprach er nun von „Verdrängung“; statt von „Autosuggestion“ –
ein wichtiger Begriff der Charcot-Schüler – sprach er von “falschen Verknüpfungen”.
Dabei ging es Freud um den gleichen Dissoziationsprozess, den Forel 1889 beschrieb:
Eine Idee wird aus dem normalen Gefüge einer Assoziationskette herausgelöst, d.h.
dissoziert, und in eine völlig andere Kette fremder Ideen oder Eindrücke eingefügt.
Dabei entstehen Illusionen, und für Freud war eine der wichtigsten „falschen
Verknüpfungen“ schließlich die Übertragung auf den Arzt. Freud lehnte die Linie von
Janet aber vor allem deshalb ab, weil Janet bei der Dissoziation von einer
angeborenen Schwäche ausging, und Freud gerade von den Ichstärken und von dem
„wachen Denken“ der Hysterikerin beeindruckt war.

Für das Verständnis der dissoziativen Phänomene ist der Begriff der Spaltung
unerlässlich. Erst spät griff Freud die Idee der Spaltung in seinen Arbeiten über die
narzisstischen Störungen auf. Obwohl er hier das Phänomen der Spaltung nicht mit
dem Begriff der Dissoziation zusammenbrachte. In der kleinianischen Theorie und
Technik wird der Begriff der Spaltung häufiger verwendet, auch wenn es sich um
Übertragungsneurosen, oder auch um die Reaktion auf ein äußeres Trauma handelt.
Die heutige Diskussion über Dissoziation geht meistens davon aus, dass dissoziative
Phänomene die psychische Reaktion auf ein äußeres Trauma (z.B. sexuellen
Missbrauchs) sind. Insofern wirft diese Diskussion auch die alte Kontroverse unter
Psychoanalytikern auf: Handelt es sich vorwiegend um einen inneren Konflikt, oder
um eine Traumatisierung von außen?

Die Arbeit des heutigen Panels zielt darauf, den alten Begriff der Dissoziation wieder
hervor zu holen, um zu untersuchen, inwieweit wir Neues für unsere analytische Arbeit
entdecken können. Freud schrieb 1909 Folgendes über die Dissoziation:

Die Situation des psychischen Konflikts ist ja eine überaus häufige, ein Bestreben des
Ichs, sich peinlicher Erinnerungen zu erwehren, wird ganz regelmäßig beobachtet,
ohne daß es zum Ergebnis einer seelischen Spaltung führte. Man kann den
Gedanken nicht abweisen, daß es noch anderer Bedingungen bedarf, wenn der
Konflikt die Dissoziation zur Folge haben solle. Ich gebe Ihnen auch gern zu, dass wir
mit der Annahme der Verdrängung nicht am Ende, sondern erst am Anfang einer
psychologischen Theorie stehen, aber wir können nicht anders als schrittweise
vorrücken und müssen die Vollendung der Erkenntnis weiterer und tiefer
eindringender Arbeit überlassen. (Freud 1909, 23)

Freud, S., 1909, Über Psychoanalyse, Fünf Vorlesungen, gehalten zur zwanzigjährigen Gründungsfeier der Clark University in
Worcester, Mass., September 1909, S.E. VIII:1-60

anregender Diskussionsbeitrag von Dr. Daniel Gutschner


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